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Chṓra. Die Kraft des Werdens, der Veränderung.

Franz Rieder •    (Last Update: 19.11.2019)

Chra. Die Kraft des Werdens, der Veränderung.

Aus dem Timaios entnehmen wir neben den ewigen Urbildern und ihren Derivaten, den, dem Prozess des Werdens und Vergehens ausgesetzten Abbildern eine dritte Komponente zum Verständnis des Alls, die Chra, übersetzt mit der Raum. Im Timaios wird diese Instanz als „schwierig und dunkel“ bezeichnet, ihre Funktion mit der einer Amme verglichen. Platon versucht hier, die kosmologischen Konzepte der Vorsokratik neu zu denken. Dort basierte die Naturphilosophie auf den vier Elementen: Feuer, Wasser, Erde, Luft, aus denen sich der Kosmos zusammensetzte. Der „Ursprung von allem“, also das bewegende Urprinzip von Werden und Veränderung suchten die Vorsokratiker also in einer stofflichen Substanz. Nach Platons Ontologie aber kann eine stoffliche Substanz wie die vier Elemente, die selber Veränderungen unterliegt, nicht Ursache für Veränderung sein. Die Ursache muss also unstofflich, unsichtbar und formlos sein (ein „Dieses“; Platon), damit alle sichtbaren, stofflichen und geformten (Aggregatzustände; „ein Derartiges“; Platon) Dinge aus ihr hervorgehen können. Diese Substanz bzw. dieses Substrat, die „Amme des Werdens“, denkt Platon als chra.

Interessant dabei ist, dass Platon das Denken der Vorsokratiker hier an dieser Stelle selbst in seine Ontologie mit einbezieht, sie also als eine Stufe im Prozess betrachtet. Denn dort war der Raum lediglich als Ort des Chaotischen, der amorphen, also gestaltlosen Urmaterie und des regellosen Geschehens gedacht. Indem der Schöpfer, Platons Demiurg, das, was er vorfand nun nach Formen und Zahlen, also nach Mustern bzw. Modellen gestaltete, fand das Naturchaos seine erste Ordnung und es entstand das System der vier Elemente.

Platons Ontologie ist demnach keine Setzung gegen oder über die Mythologie der Vorsokratik, sondern eine Entwicklung von der einen zur anderen hin durch Denken. Was Platon hier aber Aristoteles gleichsam übergibt ist die Idee des schon oben genannten Prinzips aller Prinzipien: “Nichts ist ohne Grund”. Denn im Timaios geht von der chra selbst keine Bewegung aus, die erklärte, wie aus Kosmos Formen und Zahlen oder Muster und Modelle, also überhaupt irgendeine Ursache (-Wirkung) entsteht. Es ist ja der Demiurg, der dies bewerkstelligt. Er ist also das Prinzip aller Prinzipien, Grund alles Seienden, das erst mehr als eintausendfünfhundert Jahre später bei Leibniz maßgeblich wurde, allerdings in einem ganz besonderen Zusammenhang.




Foto: monika m. seibel www.photographie-web.de



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